Magische Fähigkeiten und Geschlecht?

CN | Dieser Text behandelt Erasure von nicht-binären Personen, Inter-/Transfeindlichkeit, Biologismus

 

might be an unpopular opinion, aber ich finde, magische Fähigkeiten an Geschlecht zu knüpfen, insbesondere in Urban Fantasy u.ä., ist in jeder Form extrem schwierig, problematisch und mit großer Wahrscheinlichkeit trans-, nicht-binär- und/oder interfeindlich und/oder sexistisch. (@Herzschlaege, 19.01.2021)

Vor einer Weile habe ich auf Twitter ein paar Gedanken zum Thema „magische Fähigkeiten an Geschlecht knüpfen“ aufgeschrieben & weil eigentlich mal dieser Blog für längere Gedanken und Meinungen gedacht war, möchte ich den Thread auch hier in Form eines Posts veröffentlichen. (Das hat auch den Vorteil, dass ich nicht mein halbes Twitter-Archiv durchsuchen muss, wenn ich mal wieder aus irgendeinem Grund den Thread verliere.) Falls du die Tweets zum Thema schon kennst, wird dieser Post nicht viel Neues enthalten, aber natürlich freue ich mich auch, wenn du meine Gedanken noch einmal lesen möchtest.

Falls du gerne etwas über konkrete Beispiele für Medien (u. a. Serien, Filme und Bücher) lesen möchtest, in denen es magische Fähigkeiten gibt, die in irgendeiner Form an Geschlecht geknüpft sind bzw. werden, findest du welche am Ende dieses (englischsprachigen) Artikels von tvtropes.org. Achtung: Dieser Artikel versucht zwar, inklusiv zu sein, reproduziert aber trotzdem an einigen Stellen biologistischen Binarismus und Cissexismus. (Die einzelnen Beschreibungen der Beispiele habe ich nicht gelesen, ich weiß daher nicht, inwiefern sich das auch durch diese Texte zieht.)

Warum der Fokus auf Urban Fantasy?

Fantasy-Welten sind natürlich meistens sowieso nicht unabhängig von dem, was wir tagtäglich erleben. Bei Urban Fantasy ist es aber durch die oft starke Anlehnung an „die reale Welt“ meiner Meinung nach verstärkt so. Das soll allerdings nicht heißen, dass ich es beispielsweise in einem High-Fantasy-Roman weniger problematisch fände, magische Fähigkeiten an Geschlecht zu knüpfen. Urban Fantasy war nur das Genre, um das es beim Auslöser dieses Twitter-Threads/Blogposts ging.

Viele der Gedanken, die ich in meinem ursprünglichen Twitter-Thread und in diesem Post teile, lassen sich auf andere Genres übertragen. Selbst wenn du eine Fantasy-Welt schreibst, die mit unserer Realität nichts zu tun und wenige Gemeinsamkeiten damit hat, kannst du (unbeabsichtigt) die Trans- und Interfeindlichkeit oder auch den Sexismus unserer Welt reproduzieren, obwohl du das vielleicht gar nicht möchtest.

 

Warum wir magische Fähigkeiten nicht an Geschlecht knüpfen sollten

Je nachdem, wie es umgesetzt wird, ist das Konzept „Fähigkeiten an Geschlecht knüpfen“ mehr oder weniger offensichtlich -feindlich oder -istisch. In jedem Fall ist es sehr schwierig bis unmöglich, das zu machen, ohne diskriminierende Strukturen zu reproduzieren.

Da wir in einer Welt leben, in der gewisse körperliche und biologische Eigenschaften vergeschlechtlicht werden, müssen wir das mitdenken, wenn wir eine Fantasywelt, ein Magiesystem entwickeln & schreiben.

Wenn wir beispielsweise sagen, dass eine Fähigkeit an Chromosomen geknüpft ist, wird zum einen (ggf. implizit) reproduziert, dass Menschen entweder XX- oder XY-Chromosomen haben, was zwar die Meisten mal irgendwann im Biologieunterricht beigebracht bekommen haben, aber so nicht stimmt. Zum anderen haben wir nicht nur beigebracht bekommen, dass es ausschließlich diese beiden Möglichkeiten gibt, sondern auch, dass diese Geschlecht (mit)bestimmen.

Selbst wenn also nicht explizit im Worldbuilding enthalten ist, dass bestimmte Chromosomen-Kombinationen ein bestimmtes Geschlecht bedeuten, könnten wir nicht vermeiden, dass genau das mitschwingt.

Ein Beispiel: Es gibt eine magische Fähigkeit, die cis Frauen und trans Männer besitzen. An der Oberfläche klingt das vielleicht erst mal inklusiv. Wenn allerdings dahinter steht, dass es eine biologische Ursache gibt (z.B. Chromonsomenkombinationen), werden damit biologistische, interfeindliche Vorstellungen von Geschlecht reproduziert, nämlich die, dass cis Frauen und trans Männer die gleichen Chromosomenkombinationen haben.

Was aber, wenn die Fähigkeit wirklich unabhängig von biologischen Eigenschaften, sondern an das tatsächliche Geschlecht der magisch begabten Personen geknüpft ist? Das ist etwas besser als die erste Möglichkeit, bringt aber ebenso eigene Schwierigkeiten und Potentiale für -ismen mit sich.

Ein paar Denkanstöße

(Urban-)Fantasy-Welten sind unserer oft in vielen Teilen sehr ähnlich.
Wie ist das dann also mit Transfeindlichkeit in dieser Welt?
Weiß ~die Magie unter Umständen vor der Person/besser als die Person über ihr Geschlecht Bescheid?
Führt das zu Zwangsoutings? Oder müssen trans Personen mit dieser Fähigkeit sich vielleicht sogar verstecken, weil ihr Umfeld nicht gut reagieren würde?
Was ist mit nicht-binären Personen? Zum Beispiel mit bigender oder genderfluiden Personen?
Und was ist mit Personen, die das „richtige“ Geschlecht für diese Magie haben, aber vielleicht trotzdem die Fähigkeit nicht besitzen? Gibt es das? Und wenn ja, welche Folgen hat das für die Person?
Wie sind die Geschlechter- & Machtverhältnisse der Welt generell?
Werden sie durch diese magischen Fähigkeiten beispielsweise Ungleichheiten in dem Bereich verstärkt?
Oder tragen sie eher dazu bei, dass Ungleichheiten abgebaut werden?

Vielleicht gibt es Möglichkeiten, diese Fragen so zu beantworten, dass ein Magiesystem wenige oder keine diskriminierenden Strukturen unserer Welt explizit reproduziert. Aber es ist auf jeden Fall nicht einfach, weil dadurch, dass so eine Fantasy-Welt eben alles andere als unabhängig davon ist, was wir alle über Geschlecht gelernt haben, das implizit eben ganz schnell passiert.

 

Was ich mir von (Fantasy-)Autor_innen wünsche

Du denkst darüber nach, ein Magiesystem zu entwickeln, in dem Geschlecht eine Rolle spielt?

Ganz ehrlich? Ich wünsche mir Magiesysteme, die nicht darauf aufbauen, dass eine Fähigkeit etwas mit dem Geschlecht der Personen zu tun hat.

Ich kann natürlich keinem_r vorschreiben, was er_sie schreibt. Das ist auch nicht meine Absicht. Ich möchte auch nicht sagen, dass fiktive Welten perfekte Utopien sein sollen oder dass es keine Machtstrukturen geben darf. Aber ich würde mir wünschen, dass du dir überlegst, was eigentlich das Ziel ist. Warum möchtest du, dass es vom Geschlecht abhängig ist, ob eine Person eine magische Fähigkeit hat oder erlernen/ausüben darf? Und, fast noch wichtiger, was ist die Vorstellung von Geschlecht, die dahinter steht? Und was bedeutet diese Vorstellung von Geschlecht für marginalisierte Menschen? Für trans Personen, für inter Personen, für nicht-binäre Personen, für Frauen?

Letztendlich wünsche ich mir aber eigentlich nur eins: Lasst uns die Vorstellung, dass Geschlecht etwas objektiv Messbares ist, das mit bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten verknüpft ist, einfach endlich mal aufgeben.

 


Falls dieser Post interessant für dich war oder neue Gedanken enthält, würde ich mich freuen, wenn du mir einen Kaffee spendierst.

Ich mache außerdem Sensitivity Readings in Bezug auf Geschlecht und trans/nicht-binär sein; falls du in diese Richtung mal eine Person suchst, würde ich mich über eine Nachricht freuen. Du erreichst mich über meine Website, über meinen Twitteraccount oder per Mail an mail (at) noah-mueller.de.

2 Gedanken zu „Magische Fähigkeiten und Geschlecht?

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